Ist Fahrtzeit Arbeitszeit?
Fahrtzeiten werden häufig auch als Wegezeiten bezeichnet.
Das Thema betrifft die 2 Fragen, wann Fahrtzeit Arbeitszeit ist und wie sie ggf vergütet wird.
⇒ Wann ist Fahrtzeit Arbeitszeit
Mit dem Stand 2022 ist zu dieser Frage mittlerweile Folgendes nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) klar: Die Fahrten von der Wohnung zum Betrieb und zurück sind keine Arbeitszeit. Die Fahrten vom Betrieb zu einem Kunden oder zwischen zwei Kunden sind Arbeitszeit. Fahrten von der Wohnung direkt zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück zur Wohnung sind auch Arbeitszeit.
Damit ist allerdings nicht unbedingt geklärt, ob entsprechende Fahrten zu 100% Arbeitszeit sind, oder ob Arbeitgeber differenzieren können.
• Dazu folgender Fall
In einer Betriebsvereinbarung (BV) war Folgendes geregelt: „Anfahrtszeiten zum ersten Kunden und Abfahrtszeiten vom letzten Kunden zählen nicht zur Arbeitszeit, wenn sie 20 Minuten nicht übersteigen. Eine 20 Minuten übersteigende Reisezeit bei der An- oder Abreise zählt zur Arbeitszeit“.
BV´en werden zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten geschlossen.
Ein Außendienstmitarbeiter klagte die Zahlung von mehr als 68 Stunden ein, weil der Arbeitgeber die jeweils ersten 20 Minuten nicht gezahlt hatte.
• Die Entscheidung
Der Mitarbeiter verlor den Prozess in den ersten beiden Instanzen beim Arbeitsgericht und beim Landesarbeitsgericht. Er gewann den Prozess beim BAG.
Nach dem BAG war die Regelung in der BV aus folgenden Gründen unwirksam:
Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer BV nur Regelungen treffen, die nicht abschließend in einem Gesetz oder in einem geltenden Tarifvertrag (TV) geregelt worden sind.
Zur Frage, wann ein Tarifvertrag gilt > Arbeitsvertrag: Inhalte, Beendigung, Arten
Allgemein zu Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates unter > Erfassen der Arbeitszeit
Im Fall galt ein TV für den Groß- und Außenhandel. Dieser regelte nach dem BAG abschließend, was als Arbeitszeit gilt; die Einschränkung der 20 Minuten wie in der BV gab es dort nicht.
⇒ Wie wird Fahrtzeit als Arbeitszeit bezahlt?
Wenn Fahrtzeit Arbeitszeit ist, heißt das nicht unbedingt, dass sie auch wie Arbeitszeit bezahlt wird.
Es ist möglich, in einem TV oder auch in einem Arbeitsvertrag zu vereinbaren, dass die Fahrtzeiten mit weniger als dem vereinbarten Gehalt vergütet werden. Es kann auch geregelt sein, dass sie gar nicht vergütet wird.
Solche Regelungen sind nur dann unwirksam, wenn dadurch der geltende Mindestlohn unterschritten wird. Der Mindestlohn beträgt ab dem 01.10.2022 12,00 € brutto. Praktisch darf also der Betrag, der sich ergibt, wenn das gezahlte Bruttomonatsgehalt durch die Summe der Stunden aus Arbeitszeit + Fahrtzeit geteilt wird, nicht unter diesem Betrag liegen.
⇒ Konsequenzen
Für Arbeitgeber: Bei einem hohen Anteil an Fahrtzeiten wie im Vertrieb oder Kundendienst können die Kosten gestaltet werden. Selbst wenn sie an einen TV gebunden sind, und dieser Regelungen zu Fahrtzeiten enthält, können die Regelungen Spielräume bieten.
Für Arbeitnehmer: Prüfen Sie ihren Arbeitsvertrag und klären ggf., ob ein TV und / oder eine BV gilt, und was drin steht.
Wichtig für Mitarbeiter: Sie müssen geltende TV´en und BV´en kennen! Näheres dazu unter dem Link oben Arbeitsvertrag: Inhalte, Beendigung, Arten.
Zur Frage was gilt, wenn BV´en und Arbeitsverträge Regelungen enthalten, die sich widersprechen, vgl.
> Betriebsvereinbarungen: Günstigkeitsprinzip