Es geht hier um die Frage, wann für Überstunden bei Teilzeitarbeit Zuschläge gezahlt werden müssen. Begrifflich sind Überstunden die Arbeitsstunden, die über die im Arbeitsvertrag (AV), in einer Betriebsvereinbarung (BV) oder in einem Tarifvertrag (BV) vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleistet werden.
Zur Frage, wann eine BV gilt > Betriebsvereinbarung Günstigkeitsprinzip
Zur Frage, wann ein TV gilt > Arbeitsverträge: Inhalte, Beendigung, Arten
Überstunden sind keine Mehrarbeit, auch wenn die Begriffe nicht immer auseinandergehalten werden. Mehrarbeit ist die Arbeitszeit, die über die gesetzlich zulässige Arbeitszeit hinausgeht; zulässig sind nach dem Arbeitszeitgesetz 48 Stunden je Woche.
Überstunden liegen begrifflich also sowohl bei Vollzeit als auch bei Teilzeit vor, wenn mehr Arbeitsstunden geleistet werden, als vereinbart worden ist. Das heißt bei Teilzeitmitarbeitern aber auch, dass Überstunden vorliegen, wenn ihre Arbeitszeit mit Überstunden insgesamt unter der normalen Arbeitszeit von Vollzeitbeshäftigten liegt. Dennoch lautete die Regel dazu, wann bei Teilzeit Zuschläge gezahlt werden müssen, immer: Überstunden sind nur dann mit Zuschlägen zu zahlen sind, wenn die Arbeitszeit insgesamt über der von Vollzeitbeschäftigten liegt.
Hier hat sich die Rechtsprechung entscheidend geändert.
⇒ Dazu folgender Fall
Es ging um einen TV, in dem folgende Regelungen enthalten waren:
> Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt, ausschließlich der Pausen, 39 Stunden pro Woche bzw. 169 Stunden monatlich.
> Die Arbeitszeit kann einzelvertraglich als Jahresarbeitszeit vereinbart werden. Bezugsgröße ist ein vorher festzulegender Zwölfmonatszeitraum. In diesem Fall beträgt die Jahresarbeitszeit für eine Vollzeittätigkeit 2028 Stunden, für eine Teilzeittätigkeit entsprechend weniger.
> Überstunde im Sinne dieses TV ist diejenige Arbeitsleistung, die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit hinausgeht.
> Überstunden sind mit einem Zuschlag von 25 % des Bruttostundenentgelts zu vergüten.
Überstunden im Sinne der Jahresarbeitszeit sind mit einem Zuschlag von 33 % zu vergüten.
> Bei Teilzeitkräften sind Überstunden nur diejenige Arbeitszeit, die die regelmäßige monatliche Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit überschreiten.
Mit einer teilzeitbeschäftigten Mitarbeiterin war im Arbeitsvertrag eine Jahresarbeitszeit vereinbart. Am Ende des Jahres lag ihr Arbeitszeitkonto 19,69 Stunden über der Jahresarbeitszeit, die im Arbeitsvertrag vereinbart war. Diese Plusstunden blieben aber zusammen mit der Jahresarbeitszeit unter 2028 Stunden für Vollzeitarbeit. Der Mitarbeiterin wurden 19,69 Stunden mit ihrem Stundenlohn bezahlt.
Die Mitarbeiterin klagte dagegen und verlangte die Bezahlung eines Zuschlages von 33% auf 19,69 Stunden. Der Arbeitgeber argumentierte dagegen: Die Mitarbeiterin habe keinen Anspruch auf den Zuschlag, weil sie keine Überstunden geleistet habe. Der TV sehe vor, dass Teilzeitbeschäftigte nur dann Überstunden leisten, wenn ihre Arbeitsstunden insgesamt über die monatliche Arbeitszeit einer Arbeit in Vollzeit hinausgehe.
Die Mitarbeiterin gewann den Prozess.
⇒ Die Entscheidung
Der Prozess lief über drei Instanzen, Arbeitsgericht, Landesarbeitsgericht und Bundesarbeitsgericht (BAG. Das BAG argumentierte wie folgt:
> Die Regelung des TV über die monatliche Arbeitszeit gilt für die Mitarbeiterin nicht; denn sie hatte eine Jahresarbeitszeit vereinbart.
> Der TV sieht einen höheren Zuschlag von 33% je Stunde vor, wenn die Jahresarbeitszeit überschritten wird. Das führt bei Mitarbeitern zu höheren Belastungen. Denn sie müssen länger auf die Überstundenbezahlung warten und geben damit ihrem Arbeitgeber letztlich ein Darlehen.
> Mit dem Zuschlag für Überstunden werden Mitarbeiter daüfr belohnt, dass sie ihre Freizeit opfern. Denn diese Freizeit wird eingeschränkt, wenn sie über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus arbeiten müssen.
> Diese Überlegungen gelten zwar in gleicher Weise für Vollzeit- und Teilzeitmitarbeiter, Teilzeitmitarbeiter sind aber individuell höher belastet. Denn bei Vollzeitmitarbeitern werden Zuschäge gezahlt, wenn die individuelle Arbeitszeit ihres Arbeitsvertrages über ein Jahr gesehen überschritten wird. Für Teilzeitmitarbeiter gilt dies für ihre individuell vereinbarte Arbeitszeit gerade nicht, weil sie erst Zuschläge erhalten, wenn der Umfang einer Vollzeitarbeit überschritten wird. Darin liegt eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Teilzeitarbeit.
> Wenn ein ungerchtfertigter Verstoß gegen Gleichbehandlung vorliegt, ist auch eine Regelung in einem Tarifvertrag unwirksam.
Das BAG hat diese geänderte Rechtsprechung mittlerweile weiteren Urteilen bestätigt; die jahrelange andere Rechtsprechung hat sich erledigt.
⇒ Folgen aus der Sicht von Arbeitnehmern
Die geänderte Rechtsprechung trägt letztlich wohl der Realität Rechnung, in der viele Teilzeitmitarbeiter den Umfang ihrer Arbeitszeit bewusst mit Blick auf familiäre und andere Rahmenbedingungen vereinbaren, die mit der Arbeitsaufgabe in Einklang zu bringen sind. Dann ist ihre individuelle Belastung richtigerweise höher als bei Vollzeitmitarbeitern, wenn sie ihre vereinbarte Teilzeitarbeitszeit wegen Überstunden überschreiten müssen.
⇒ Folgen aus der Sicht von Arbeitgebern
Ein Weg, die betriebswirtschaftlichen Folgen zu relativieren, sind Arbeitszeitmodelle mit längeren als nur monatlichen Ausgleichszeiträumen. Dies gelingt aber nur, wenn regelmäßig überprüft wird, ob die Arbeitszeitmodelle tatsächlich zur Nachfrage nach den Produkten und / oder Dienstleistungen passen, und ggf. angepasst werden. Regelmäßige Überprüfungen verringern zudem internes Konfliktpotential mit (Teilzeit-) Mitarbeitern, wenn sie für diese sichtbar und verständlich erfolgen sowie entsprechend kommuniziert werden.
Bei Teilzeitarbeit neben einer Teilrente, bei Teilzeitvereinbarungen in länger laufenden Sozialplänen oder auch nach Kurzarbeit ist gut argumentierbar, dass diese Rechtsprechung darauf nicht übertragbar ist. Denn in jenen Fällen ist der Zweck der Teilzeitarbeit offensichtlich nicht, persönliche Dispositionsfreiheiten über Freizeit zu schützen. Bei Teilzeit neben einer Teilrente wird es eher nicht darum gehen, familiäre und andere persönlichen Bereich mit der Arbeitszeit vereinbaren zu können; bei Sozialplänen und Kurzarbeit geht es um den Erhalt von Arbeitsplätzen.
Zu den allgemeinen Regeln für die Bezahlung von Überstunden
> Wann und in welcher Höhe müssen Überstunden bezahlt werden?