Die betriebliche Übung kann dazu führen, dass Arbeitnehmer Ansprüche auf Leistungen haben, obwohl sie sie nicht ausdrücklich mit dem Arbeitgeber vereinbart haben.
⇒ Zum besseren Verständnis folgender Fall
Ein Mitarbeiter arbeitete seit 2005 bei seinem Arbeitgeber. Ab 2010 zahlte der Arbeitgeber jährlich im November ein Weihnachtsgeld von 1500 € brutto. Der Mitarbeiter erkrankte und war in den Jahren 2018 – 2020 durchgehend arbeitsunfähig. Er erhielt das Weihnachtsgeld letztmalig im November 2017, in den Jahren 2018 – 2020 zahlte der Arbeitgeber es nicht.
Bei den Auszahlungen jeweils im November wiesen die Gehaltsabrechnungen die Zahlung als „freiw. Weihnachtsgeld“ aus.
Der Mitarbeiter klagte auf Zahlung des Weihnachtsgeldes für die Jahre 2018 – 2020. Der Prozess lief über 3 Instanzen. Beim Bundesarbeitsgereicht (BAG) gewann er endgültig.
⇒ Zum Begriff betriebliche Übung
Eine betriebliche Übung kann entstehen, wenn der Arbeitgeber vielen oder allen Arbeitnehmern Leistungen gewährt,
> die er mit den einzelnen Arbeitnehmern nicht ausdrücklich vereinbart hat,
> und die sich auch nicht aus Gesetzen ergeben.
Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber können sich aus dem Arbeitsvertrag, aus einem Tarifvertrag oder aus einer Betriebsvereinbarung ergeben. Arbeitgeber können ohne eine Vereinbarung auch nach dem Gesetz verpflichtet sein, Mitarbeitern Leistungen zu gewähren.
Zu Vereinbarungen im Arbeitsverhältnis und gesetzlichen Leistungen vgl.
> Arbeitsvertrag: Inhalte, Beendigung, Arten
In unserem Fall zahlte der Arbeitgeber die 1500 € allen Mitarbeitern. Er hatte mit dem klagenden Mitarbeiter keine Vereinbarung über die Zahlung getroffen. Es gibt euch kein Gesetz, das Arbeitgebern die Zahlung von Weihnachtsgeld vorschreibt.
Deshalb urteilte das BAG, dass für das Weihnachtsgeld die Regeln für eine betriebliche Übung gelten.
⇒ Die grundsätzlichen Regeln bei der betrieblichen Übung
Wenn Arbeitgeber 3 Jahre hintereinander Leistungen zahlen, besteht auch für die Folgejahre ein entsprechender Anspruch. Sie können das nur verhindern, wenn sie ausdrücklich und eindeutig erklären, dass sie sich nicht dauerhaft zu Zahlung verpflichten wollen.
Dafür reicht es aber nicht, wenn sie die Zahlung als freiwillige Leistung bezeichnen. Deshalb hatte die Bezeichnung in den Gehaltsabrechnungen für das BAG keine Bedeutung.
Zu solchen sog. Freiwilligkeitsvorbehalten
> Bonus, Freiwilligkeitsvorbehalte im Arbeitsvertrag
⇒ Gilt die betriebliche Übung auch bei Krankheit?
Im Fall war der Arbeitgeber der Meinung, er müsse für die Jahre 2018 – 2020 nicht zahlen, weil der Mitarbeiter die ganze Zeit krank war. Mit diesem Argument hatte der Arbeitgeber den Prozess in der 2. Instanz beim Landesarbeitsgericht gewonnen.
Das BAG sah das anders und urteilte, der Arbeitgeber hätte mit dem Mitarbeiter eine ausdrückliche Vereinbarung darüber treffen müssen, dass bei Krankheit kein Weihnachtsgeld gezahlt wird. Denn es war nicht klar, aus welchen Gründen er das Weihnachtsgeld zahlte.
Weil es diese Vereinbarung nicht gab, gewann der Mitarbeiter schließlich seinen Prozess.
⇒ Resümee
Eine Bezeichnung als freiwillige Leistung verhindert allein nicht, dass eine betriebliche Übung entsteht, wenn Arbeitgeber 3 Jahre durchgehend Leistungen gewähren. Arbeitgeber müssen deutlicher machen, dass sie sich nicht auf Dauer binden wollen. Das ist möglich mit Formulierungen wie „ohne Rechtsanspruch“ oder ähnlich.
Ob Arbeitgeber Leistungen auch bei Krankheit erbringen müssen, hängt davon ab, ob die Leistungen ausschließlich Gegenleistung für die Arbeitsleistung sind. Wenn das so ist, müssen sie auch bei Krankheit geleistet werden; deshalb muss z.B. das monatliche Gehalt jedenfalls für 6 Wochen weitergezahlt werden.
Eine Leistung des Arbeitgebers kann aber auch andere Zwecke verfolgen, als die Arbeitsleistung zu bezahlen. So kann ein zusätzliches Urlaubsgeld als Ausgleich für die Mehrkosten von Urlaubsreisen gezahlt werden oder ein Weihnachtsgeld als Ausgleich für die Mehrkosten von Geschenken. Oder ein Weihnachtsgeld soll Betriebstreue belohnen.
Wenn eine Leistung ganz oder teilweise andere Zwecke verfolgt, müssen Arbeitgeber ausdrücklich vereinbaren, dass sie bei Krankheit nicht gezahlt wird.
Arbeitgeber müssen deutlich machen, warum eine Leistung gewährt wird. Der Fall zeigt, dass es zu ihren Lasten geht, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, wie man den Zweck einer Leistung verstehen kann.
Unabhängig von einer juristischen Zweckmäßigkeit sollten: Arbeitgeber ihren Mitarbeitern ohnehin deutlich machen, warum sie welche Leistungen gewähren. So prägen sie ihr Arbeitgeberimaage, nur so können sie Mitarbeiter zu dem Verhalten motivieren, das beabsichtigt ist.