Crowdworker können Arbeitnehmer sein

Inhaltsverzeichnis

Wann sind Crowdworker Arbeitnehmer?

⇒ Ausgangssituation

Crowdworker nehmen über eine Online Plattform (Kleinst-)Aufträge gegen Entgelt an. Sie schließen einen Rahmvertrag mit dem Betreiber der Plattform, dem sog. Crowdsourcer. Der Rahmenvertrag sieht vor, dass der Crowdworker nicht verpflichtet ist, Aufträge anzunehmen.
Weil Arbeitnehmer aber nach ihrem Arbeitsvertrag verpflichtet sind, nach Weisung zu arbeiten, scheint der Crowdworker kein Arbeitnehmer zu sein. Die Frage hat große Bedeutung; nur Arbeitnehmer haben z.B. Anspruch auf Lohnfortzahlung bei Krankheit und auf Urlaub.
Zu den finanziellen Risiken, wenn sich später herausstellt, dass jemand Arbeitnehmer ist, vgl.
> finanzielle Risiken bei Scheinselbständigkeit
Die Regelungen in einem Vertrag entscheiden nie allein darüber, ob jemand Arbeitnehmer ist oder nicht; wichtiger ist, wie das Vertragsverhältnis in der Praxis umgesetzt wird.

⇒ Dazu folgender Fall

Ein Crowdsourcer bot als bezahlte Tätigkeit an, die Präsentation von Produkten zu kontrollieren. Die Anbieter von Produkten vergaben dazu Aufträge an den Crowdsourcer. Dieser unterteilte die Aufträge in viele Kleinstaufträge und vergab diese an Crowdworker. Die Crowdworker wurden bezahlt, wenn sie einen Auftrag annahmen und die Kontrollen entsprechend den Anweisungen ausführten.
Der Crowdworker musste Aufträge persönlich durchführen, und er musste sie innerhalb von 2 Stunden erledigen. Klappte das nicht, wurde der Auftrag neu vergeben.
Die Aufträge wurden über eine App vereinbart. Dort war auch hinterlegt, dass Crowdworker zukünftig umso mehr Aufträge gleichzeitig annehmen konnten, je mehr sie erfolgreich durchgeführt hatten. Die App maß dafür automatisch die individuelle Leistung und vergab sog. Erfahrungspunkte.
In unserem Fall übernahm ein Crowdworker über ein Jahr rd. 3000 Aufträge und verdiente damit durchschnittlich knapp 1900,00 € je Monat. Nach einem Jahr schrieb der Crowdsourcer dem Crowdworker eine E-Mail: Es werde keine Aufträge mehr erhalten, sein Account für die App werde deaktiviert.
Der Crowdworker klagte dagegen beim Arbeitsgericht. Er argumentierte, dass er Arbeitnehmer gewesen sei. Deshalb habe sein Vertrag nicht wirksam mit einer E-Mail gekündigt werden können.
In den ersten beiden Instanzen beim Arbeitsgericht und beim Landesarbeitsgericht verlor der Crowdworker den Prozess, beim Bundesarbeitsgericht (BAG) bekam er Recht.

⇒ Die Entscheidung

Hintergrund der Argumentation des Crowdworkers war, dass ein Arbeitsverhältnis schriftlich gekündigt werden muss. Das Argument war richtig, und eine E-Mail erfüllt nicht die Anforderungen an eine Schriftform. Vgl. dazu > Arbeitsvertrag Inhalte, Beendigung, Arten
Es kam also darauf an, ob der Crowdworker Arbeitnehmer war.
Für einen Arbeitsvertrag ist es typisch, dass Arbeitnehmer gegenüber Arbeitgebern weisungsgebunden sind. Arbeitgeber können anweisen, wo und wie Arbeiten auszuführen sind. Zudem sind Arbeitnehmer wirtschaftlich und persönlich vom Arbeitgeber abhängig.
Nach Meinung des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts war der Vertrag mit dem Crowdsourcer kein Arbeitsvertrag, sondern ein Dienstvertrag, weil der Crowdworker Aufträge ablehnen konnte. Bei einem Dienstvertrag ist der Dienstleistende nicht so abhängig wie ein Arbeitnehmer; wie er seine Tätigkeit ausführt, entscheidet er selbst, und er entscheidet frei, ob er einen Auftrag annimmt. Ein Dienstvertrag muss nach den gesetzlichen Regeln auch nicht schriftlich gekündigt werden.
Das BAG urteilte aus folgenden Gründen anders: Die Tätigkeit war weisungsgebunden gewesen, weil der Crowdworker
* die App nutzen musste,
* die Tätigkeit persönlich und innerhalb einer konkreten Zeitspanne erbringen musste,
* auch sonst keinen Spielraum hatte, wie er die Aufträge durchführte.
Die Grenzen für eigene Entscheidungen waren gerade deshalb so eng, weil der Crowdsourcer alle Aufträge in Kleinstaufträge aufteilte.
Nach dem BAG änderte daran nichts, dass der Crordworker nach seinem Vertrag keine Aufträge annehmen musste. Denn durch die automatisierte Bewertung wurde faktisch ein Zwang ausgeübt, viele Aufträge anzunehmen. Der Zwang bestand, weil es zukünftig nur die Chance auf weitere Auafträge gab, wenn der Crowdsourcer möglichst viele Aufträge annahm.
Schließlich war er auch persönlich und wirtschaftlich vom Crowdsourcer abhängig. Das ergibt sich aus seinem Verdienst und der hohen Anzahl seiner erledigten Aufträge. Für andere zumutbare Möglichkeiten, Geld zu verdienen, blieb keine Zeit.

⇒ Resümee

Nicht jedes Crowdworking-System ist so gestaltet, wie in diesem Fall. Deshalb können nicht generell bei Crowdworking Arbeitsverhältnisse angenommen werden. Man muss sich jeden Fall genau anschauen, ob er mit diesem Fall vergleichbar ist.
Die Crowdworking Branche wächst. Es wäre deshalb nicht überraschend, wenn der Gesetzgeber diese BAG Entscheidung zum Anlass nimmt, hier zur Frage von Arbeitsverhältnissen eine gesetzliche Regelung zu schaffen. Im Bundesarbeitsministerium wird bereits darüber nachgedacht.