Scheinselbstständigkeit – finanzielle Risiken für Auftragnehmer und Auftraggeber

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Wenn sich eine als selbststständig vereinbarte Tätigkeit später als sog. Scheinselbstständigkeit herausstellt, kann es sich um ein Arbeitsverhältnis gehandelt haben. Oder die Tätigkeit kann sich als sog. arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit erweisen. Dann besteht in beiden Fällen ein hohes Risiko, dass Sozialversicherungsbeiträge und Steuern nachzuzahlen sind. Wer muss sie dann zahlen? Und kann derjenige, der sie gezahlt hat, sie vom anderen zurückverlangen?

⇒ Wann sich die Frage einer Scheinselbstständigkeit stellen kann

Arbeiten zwei als Selbstständige gegen Entgelt zusammen, sind sie Auftraggeber und Auftragnehmer eines Dienst- oder Werkvertrages. Auftragnehmer können Freiberufler oder als Gewerbetreibende tätig sein. Dann kann sich bei einer Betriebsprüfung des Finanzamtes oder der Sozialversicherung, oder auch nach einer sog. Statusfeststellung der Rentenversicherung, eine Scheinselbstständigkeit ergeben. Im Ergebnis heißt das dann, dass ein Arbeitgeber und ein Arbeitnehmer auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages zusammengearbeitet haben. Ein Antrag für eine Statusfeststellung kann kann sowohl vom Auftraggeber als auch vom Auftragnehmer gestellt werden, eine Betriebsprüfung findet beim Auftraggeber statt.
Eine Scheinselbstständigkeit kann sich auch nach einem Gerichtsurteil ergeben, wenn ein Auftragnehmer das Ziel verfolgt, dass seine Arbeitsbeziehung zum Auftraggeber als Arbeitsverhälnis qualifiziert wird. Eine entsprechende Klage kann er beim Arbeitsgericht erheben. Er trägt dabei die Beweislast dafür, dass ein Arbeitsverhältnis vorgelegen hat.
Dazu ein Beispiel unter > Crowdworker können Arbeitnehmer sein


⇒ Sozialversicherungsbeiträge, Steuern

Stellt sich ein Arbeitsverhältnis heraus, war die Tätigkeit in der Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung beitragspflichtig. Sowohl der Arbeitgeberanteil als auch der Arbeitnehmeranteil für Sozialversicherungsbeiträge sind bis zu 4 Jahren rückwirkend nach der Feststellung nachzuzahlen.
Die Nachzahlung von Krankenversicherungsbeiträgen kann sich bei einer privaten Krankenversicherung des Auftragnehmers anders darstellen!
Die Nachzahlung muss der zum Arbeitgeber gewordene Auftraggeber leisten. Er kann sie von seinem zum Arbeitnehmer gewordenen Auftragnehmer maximal für 3 Monate rückwirkend erstattet verlangen. Eine Erstattung betrifft dabei dann nur den Arbeitnehmeranteil.
Bei einem Arbeitsverhältnis besteht für den Auftraggeber des Weiteren das Risiko der Nachzahlung von Lohnsteuer, wenn der Auftragnehmer keine Steuern gezahlt hat.
Wenn sich die Arbeitsbeziehung für den Auftragnehmer als arbeitnehmerähnliche Selbstständiger herausstellt, ist die Folge eine andere: Der arbeitnehmerähnliche Selbstständige ist selbst in der Rentenversicherung versicherungspflichtig. Deshalb muss er die Rentenversicherungsbeiträge selbst nachzahlen. Als entsprechend risikobehaftete Beispiele dafür können je nach Art ihrer Aufgaben und der Beziehungen zum Auftraggeber Künstler oder auch Trainer in Fitnessstudios dienen.

⇒ Zahlungen, die in der Selbständigkeit geflossen sind

Wenn sich eine Scheinselbstständigkeit als Arbeitsverhältnis herausstellt, hat eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) die finanziellen Risiken für die Scheinselbstständigen selbst erheblich erhöht. Das Gericht hat entschieden, in der Regel könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Höhe der für die Selbständigkeit vereinbarten Zahlungen auch für eine Tätigkeit als Arbeitnehmer gilt.

> Dazu folgender Fall

Es war ein freies Mitarbeiterverhältnis für IT-Tätigkeiten vereinbart worden, Auftraggeber und freier Mitarbeiter arbeiteten auf dieser Basis 9 Jahre lang zusammen. Nach 9 Jahren kündigte der freie Mitarbeiter den Vertrag und stellte einen Antrag auf Statusfeststellung für die vergangenen 9 Jahre. Das Ergebnis war die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses über die gesamte Zeit.
Der zum Arbeitgeber gewordene Auftraggeber klagte jetzt auf Rückzahlung von rd. 106.000 € zzgl. rd. 6.000 € für zu zahlende Arbeitgeberanteile in der Sozialversicherung. Der Auftraggeber berief sich unter anderem auf einen Tarifvertrag, der für die Tätigkeiten des freien Mitarbeiters eine entsprechend niedrigere Vergütung vorsehe; nach seiner Ansicht hätte dieser Tarifvertrag bei einem Arbeitsverhältnis gegolten.
Der vormals freie Mitarbeiter wehrte sich gegen die Klage mit dem Argument, die an ihn gezahlten Honorare als freier Mitarbeiter seien nicht höher gewesen als ein Bruttogehalt, das ihm für dieselben Tätigkeiten als Arbeitnehmer hätten gezahlt werden müssen; im Übrigen hätte der Tarifvertrag für ihn auch bei einem Arbeitsverhältnis nicht gegolten.
Zur Geltung eines Tarifvertrages im Arbeitsverhältnis > Arbeitsvertrag: Inhalte, Beendigung, Arten
Das BAG lehnte die Argumentation des vormals freien Mitarbeiters ab: Die Vergütung von Personen, die selbstständige Tätigkeiten erbringen, decke typischerweise zugleich Risiken ab, die der freie Mitarbeiter anders als ein Arbeitnehmer selbst trägt. Das betreffe zunächst die Risiken, gegen die Arbeitnehmer durch die gesetzliche Sozialversicherung abgesichert sind. Freie Mitarbeiter müssten darüber hinaus auch in Rechnung stellen, dass sie bei Arbeitsausfällen deutlich weniger gegen den Verlust des Vergütungsansprüchen geschützt sind, als dies bei Arbeitnehmern der Fall ist. Eine Vergütung für selbständig tätige Personen sei daher regelmäßig höher.
Im Ergebnis bekam der vormals Auftraggeber also Recht.
Für die Dimension dieser Entscheidung des BAG ist es wichtig, auch Folgendes zu verstehen: Die Frage, ob ein Tarifvertrag gegolten hätte oder nicht, ist für die grundätzliche Frage, ob der vormals freie Mitarbeiter Vergütungen erstatten muss, zweitrangig. Denn wenn ein Tarifvertrag nicht gilt, ist für das in einem Arbeitsverhältnis zu zahlende Bruttoentgelt die branchenübliche Bezahlung festzustellen. Ein Tarifvertrag beeinflusst daher „nur“ die Höhe gegebenenfalls zurück zu zahlender Vergütungen.

⇒ Konsequenzen

Bei Nachforderugen der Rentenversicherung können sich insbesondere für arbeitnehmerähnliche Selbstständige existentielle Bedrohungen ergeben. Die Risiken können durch richtiges Vorgehen gegen Feststellungen oder Zahlungsbescheide der Rentenversicherung beherrschbarer gemacht werden.

Zu den generellen Kriterien für eine selbständige Tätigkeit oder ein Arbeitsverhältnis im Sozialrecht, speziell auch für Pflegefachkräfte: > Scheinselbstständigkeit bei Pflegefachkräften