Wann hält das BEM in einem Kündigungsschutzprozess

Inhaltsverzeichnis

Gibt das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) Arbeinehmern einen Kündigungsschutz, der Arbeitsgerichtsprozesse für Arbeitgeber unkalkulierbar macht?

⇒ Ausgangssituation Praxis

Die Praxis zeigt, dass im Ernstfall eines Kündigungsschutzprozesses von einem mit viel Aufwand betriebenen BEM nicht viel übrig bleibt.
Arbeitgeber fragen reichlich im Markt angebotene Seminare rege nach, sie entwickeln zum BEM Standardschreiben, Formulare und führen ein BEM durch. Dennoch müssen sie bei Klagen gegen eine Kündigung realisieren, dass der BEM Kündigungsschutz eher zu einem erfolgreichen Prozess für betroffene Arbeitnehmer führt. Was sind die Gründe?

⇒ Ausgangssituation Zweck des BEM

Der Zweck eines BEM ist es, dass bei hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten eines Mitarbeiters im Unternehmen geklärt wird, ob sich diese Fehlzeiten reduzieren lassen. Konkret geht es um das Identifizieren und Prüfen von Maßnahmen, die bei dem betroffenen Mitarbeiter nachhaltig die vorhandenen hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten verringern.
Mit dem Blickwinkel auf das Krankheitsbild selbst können hier praktisch Therapien in Betracht kommen, die Krankheitsursachen positiv beeinflussen oder Symptomen vorbeugen. Aus einem anderen Blickwinkel können die Aufgaben oder Arbeitsmittel am Arbeitsplatz, dessen Arbeitsumfeld oder dessen Arbeitsbedingungen (Mit-)Ursachen eines Krankheitsbildes sein; dann geht es darum, ob und ggf. wie hier Veränderungen möglich sind.
Deshalb geht es beim BEM in erster Linie zunächst einmal „nur“ darum, krankheitsbedingt hohe Fehlzeiten zu vermindern und ihnen vorzubeugen. Konkret kann es aber eben auch darum gehen, dass mit einem BEM eine krankheitsbedingte Kündigung vorbereitet werden soll, weil die Fehlzeiten über einen längeren Zeitraum ein Ausmaß erreicht haben, das ein Arbeitgeber nicht mehr für zumutbar hält.
Diesen Unterschied bei BEM Verfahren kann man schon daran erkennen, dass Arbeitgeber schon dann ein BEM durchführen müssen, wenn Fehlzeiten einen bestimmten Umfang erreichen. Sie müssen nicht erst ein BEM durchführen, wenn sie über eine Kündigung nachdenken. Der Unterschied ergibt sich , weil der Umfang von Fehlzeiten, der zur Durchführung eines BEM verpflichtet, noch nicht der Umfang ist, der auch eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigt. Wenn Arbeitgeber aber über eine Kündigung nachdenken, wird immer ein Umfang von Krankheitstagen vorliegen, der auch zu einem BEM verpflichtet.
Zu den Voraussetzungen, wann ein BEM durchgeführt werden muss, vgl. > Mitbestimmung beim BEM

⇒ Ausgangssituation Die Bedeutung des BEM im Kündigungsschutzprozess

Wenn ein Arbeitgeber also eine sog. personenbedingte Kündigung ausspricht, weil er das Ausmaß der krankheitsbedingten Fehlzeiten für unzumutbar hoch hält, muss er ein BEM durchführen, bevor er kündigt. Insofern ist das BEM auch Kündigungsschutz.
Wenn beim Arbeitgeber aber kein BEM stattgefunden hat, bevor er eine krankheitsbedingte Kündigung ausspricht, bedeutet BEM Kündigungsschutz nicht, dass die Kündigung schon deshalb unwirksam ist. Die Konsequenz ist allerdings, dass der Arbeitgeber in einem Prozess detailliert vortragen und ggf. beweisen muss, dass die Kündigung auch dann hätte ausgesprochen werden müssen, wenn ein BEM durchgeführt worden wäre. Er sieht sich also damit konfrontiert, dass er hypothetisch all´ die Überlegungen, wie sie unter Zweck des BEM erwähnt sind, vortragen muss; und er muss erklären, warum all` die Maßnahmen nicht geeignet gewesen wären, das Ausmaß der Fehlzeiten zu reduzieren.
Praktisch stellt der BEM Kündigungsschutz daher sicher, dass eine krankheitsbedingte Kündigung erst dann wirksam ausgesprochen werden kann, wenn Arbeitgeber vorher Alternativen zur nachhaltigen Reduzierung von Krankheitszeiten bedacht und die Erfolgswahrscheinlichkeit geprüft hat; ggf. muss er das im Kündigungsschutzprozess nachholen.

⇒ Die wesentlichen Gründe für ein Scheitern einer Kündigung im Prozess, auch wenn ein BEM durchgeführt wurde
• Die Kommunikation im BEM Verfahren ist nicht ausreichend

Ein BEM Prozess beginnt mit der Einladung eines betroffenen Mitarbeiters zu einem BEM. Nach der Rechtsprechung ist es eine wesentliche Voraussetzung für ein BEM, das wirksam eine Kündigung vorbereiten soll, dem Arbeitnehmer bereits hier deutlich zu machen, dass es in diesem BEM jedenfalls auch um die Voraussetzungen seiner dauerhaften Beschäftigung geht.
In der direkten Ansprache eines BEM gegenüber betroffenen Mitarbeitern ist die Kommunikation demgegenüber häufig zu zurückhaltend. Dies liegt auch daran, dass in Seminaren der Fürsorgecharakter eines BEM (über-)betont wird, dieser stehe im Vordergrund. Es gelte zu vermeiden, dass Mitarbeiter abgeschreckt, Ängste geschürt oder Misstrauen geweckt werde. Schließlich gehe es um ein sensibles Thema, und die Kommunikation habe entsprechend sensibel zu sein. Schließlich müsse man auch die Zustimmung des Mitarbeiters zu einem BEM erreichen, und das könne mit zu direkter Kommunikation nicht funktionieren.
Empathie, Sensibilität und konkrete Ansprache schließen sich aber nicht aus, wenn in der Kommunikation ebenso deutlich angesprochen wird, dass es darum geht, gemeinsam Lösungen zu finden, wie der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
Eine weitere häufige Fehlerquelle ist das Thema Datenschutz. Die Einladung zu einem BEM muss bereits deutlich machen, welche Daten in dem Verfahren erhoben werden sollen, wie diese Daten im Interesse ihres Schutzes aufgehoben werden und wer diese Daten einsehen kann.
Dasselbe gilt für die Nennung der Personen, die am BEM teilnehmen sollen und die Information darüber, dass der Mitarbeiter die Teilnahme von Personen ablehnen kann.
Zur Teilnahme von Betriebsräten in diesem Zusammenhang vgl. auch unter dem genannten Link zur Mitbestimmung beim BEM.

• Vorsicht mit Musterschreiben

Es gibt eine große Auswahl und viele Vorschläge vermeintlich rechtssicherer Musteranschreiben zur Einladung von Mitarbeitern zu einem BEM Gespräch. Aber sie entsprechen zu häufig nicht den Anforderungen an die konkreten Aussagen, die für ein wirksames BEM zur Vorbereitung einer Kündigung notwendig sind.

• Ablauf des BEM Verfahrens

In Seminaren wird auch viel Wert darauf gelegt, einen ausgefeilten Ablaufprozess zum zu vermitteln. Das ist ein verlockender Ansatz, bietet er doch die Möglichkeit, das Verfahren zu standardisieren und damit vermeintliche Fehlerfreiheit zu gewährleisten. Das Gegenteil ist der Fall.
Das BEM Verfahren muss als dynamischer Prozess verstanden werden. § 167 Sozialgesetzbuch (SGB) IX sieht dazu vor, dass „Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann“ geprüft werden. Dafür ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem konkreten Arbeitsplatz notwendig. Es geht die konkrete betroffene Person und ihren konkreten Arbeitsplatz; es geht um die dabei gegebenen Arbeitsprozesse, und wie diese auf das gegebenen Krankheitsbild einwirken.
Standardisierungen bergen dagegen das Risiko, diese Blickwinkel zu trüben. Sie verführen zu häufig dazu, Verfahrensfragen statt konkreten Fall zum Thema zu machen und Ungleiches gleich zu behandeln. Büroarbeitsplätze sind unter anderen Kriterien zu betrachten als Arbeitsplätze der Produktion, Mitarbeiter in der ambulanten Pflege finden bei jedem Pflegebedürftigen zu Hause andere Bedingungen vor.
Man kommt um diese konkrete Betrachtung nicht herum. Denn wenn kein oder ein unzureichendes BEM stattgefunden hat, muss im Kündigungsschutzprozess erklärt werden, wie ein ausreichendes BEM ausgesehen hätte. Und es muss erläutert werden, warum auch das zu keinem anderen Ergebnis als dem einer Kündigung geführt hätte. Das ist nur möglich, wenn man diese konkrete Betrachtung dann anstellt und die Folgen darstellt.

• Konsequenzen für effiziente BEM Verfahren

Man kann die Denkmuster zu konkreten Betrachtungen statt abstrakten Standards trainieren; es geht um prozessorientiertes Denken.
Es ist sinnvoll, Prüfungen zu konkreten Arbeitsplätzen zu dokumentieren; diese Dokumentationen geben bei vergleichbaren Arbeitsplätzen sinnvolle Standards für zukünftige BEM Verfahren.
Richtig gemacht, schafft man nebenbei auch Synergien durch gute Grundlagen für andere Felder des Personalmanagements. Denn es gibt dort nicht so viele Felder, bei dem der Arbeitsplatz keine Rolle spielt.