Ist eine Kündigung wegen einer Nebenbeschäftigung bei Krankheit immer wirksam?

Inhaltsverzeichnis

Kann ein Arbeitgeber eine fristlose Kündigung wegen einer Nebenbeschäftigung bei einer Krankheit aussprechen?

⇒ Ausgangslage

Die Mehrheit wird die Frage sicherlich mit ja beantworten, wer würde schon den Satz in Frage stellen, wer arbeitsunfähig ist, darf nicht anderweitig arbeiten. Im Prinzip ist die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte bis hin zum Bundesarbeitsgericht (BAG) auch klar: Arbeitsunfähige Mitarbeiter müssen sich so verhalten, dass sie bald wieder gesund werden. Deshalb dürfen sie nicht anderweitige arbeiten, wenn dadurch ihre Genesung verzögert wird.
Die arbeitsgerichtliche, Praxis neigt in diesen Fällen zu schnellen Beurteilungen zu Lasten der Mitarbeiter. Das scheint wegen der Rechtsprechung verständlich. Aber die Rechtsprechung enthält eine Einschränkung: Die Nebenbeschäftigung muss die Genesung verzögern.

⇒ Dazu folgender Fall

Ein Produktionsmitarbeiter war arbeitsunfähig geschrieben. Er wurde nach einem Tipp von Kollegen an den Betriebsleiter von diesem beobachtet, als er trotz Arbeitsunfähigkeit eine Nebenbeschäftigung in einem Supermarkt ausübte.
Der Mitarbeiter erhielt eine fristlose Kündigung wegen der Nebenbeshcäftigung bei Krankheit. Er klagte dagegen.
Die Begründung der Klage lief im Kern darauf hinaus, dass medizinische Probleme in der linken Schulter Ursache der Arbeitsunfähigkeit seien. Diese seien auf eine stark einseitige Belastung bei seinen Arbeitsaufgaben in der Produktion zurückzuführen. Bei seiner Nebentätigkeit werde die linke Schulter aber gar nicht belastet. Deshalb werde seine Genesung dadurch nicht verzögert.
Nach mehreren Sitzungen bei Gericht und vielen Schriftsätzen wurde der Fall am Ende nicht durch ein Urteil entschieden. Er endete mit einer sehr hohen Abfindung für den Produktionsmitarbeiter. Die Höhe lag weit über den üblichen Berechnungsmethoden.

⇒ Praktische Konsequenzen

Es ist sorgfältig zu prüfen, ob eine Nebentätigkeit bei Krankheit die Genesung verzögert und deshalb eine Kündigung rechtfertigt. Bei der Prüfung muss das Krankheitsbild den Arbeitsabläufen und den damit verbundenen Belastungen der Nebentätigkeit gegenübergestellt werden.
Wenn der Arbeitgeber fristlos kündigen will, muss er ohnehin dem Mitarbeiter vorher die Möglichkeit geben, sich zu dem Vorwurf zu äußern. Wenn er mit der geltenden Kündigungsfrist kündigen will, ist eine Anhörung jedenfalls dann empfehlenswert, wenn das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gilt. Wenn der Mitarbeiter sich weigert, ein Gespräch überhaupt zu führen, oder lehnt er eine Auskunft über Ursachen seiner Arbeitsunfähigkeit und die Nebenbeschäftigung ab, sind seine Chancen in einem Prozess geringer.
Das gilt erst recht, wenn der Arbeitgeber fristlos kündigt, aber hilfsweise eine fristgemäße Kündigung ausspricht. Denn wenn dann im Prozess aus einer vermeintlich klaren Genesungsverzögerung bestenfalls die Gefährdung die Verzögerung zu werden droht, kann eine fristgemäße Kündigung wegen Nebenbeschäftigung bei Krankheit dennoch erfolgreich sein.
Arbeitgeber können zudem in diesen Fällen eine Kündigung in zwei Richtungen begründen:
 Verhaltensbedingte Kündigung wegen unentschuldigten Fehlens
Dieser Kündigungsgrund beruht auf der Überlegung, dass der Mitarbeiter gar nicht arbeitsunfähig ist, weil er einen Nebenbeschäftigung ausübt, und er deshalb unentschuldigt fehlt. Deshalb hat er die Bescheinigung entweder durch Täuschung des Arztes erschlichen, oder der Begriff Arbeitsunfähigkeit wurde vomm Arzt falsch verstanden.
Das führt dann auch zu der Frage, wann eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine Krankheit des Mitarbeiters beweist. Dazu > Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – Krankheitsbeweis
Bei dieser Variante müssen Arbeitnehmer in einem Prozess erläutern, warum sie arbeitsunfähig waren, und wie die Diagnose genau lautete. Sie müssen ihren behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden.
 Verhaltensbedingte Kündigung, da die Nebenbeschäftigung die Heilung der bestehenden Krankheit verzögert
Bei dieser Variante müssen Arbeitnehmer auch ihren Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Sie müssen dann zusätzlich die Arbeitsabläufe ihrer Nebentätigkeit konkret erläutern und dafür Beweis anbieten. Sie müssen schließlich erklären, warum diese Arbeitsabläufe im Vergleich mit der Diagnose für ihre Arbeitsunfähigkeit die Heilung nicht verzögern; auch dafür müssen sie durch ein medizinisches Sachverständigengutachten Beweis anbieten.
Ob die Beweise tatsächlich erhoben werden, hängt auch davon ab, wie konkret und nachvollziehbar die Sachverhalte geschildert werden. Im Fall war beispielsweise die Schilderung der Nebentätigkeit durch den Betriebsleiter sehr dünn und konnte leicht ohne eine Beweisaufnahme widerlegt werden.
Müssen Arbeitgeber vor der Kündigung einen Betriebsrat anhören, folgt aus diesen Überlegungen, dass die Anforderungen an eine Anhörung hoch sind. Es reicht nicht, wenn Arbeitgeber den Betriebsrat nur über eine ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit und eine gleichzeitig ausgeübte Nebentätigkeit informieren, für die es ausch Zeugen gebe.

⇒ Sonderfall psychosomatische Störungen

Entsprechende Diagnosen für eine Arbeitsunfäbhgigkeit nehmen zu. Soweit ersichtlich, gibt es dazu noch keine gerichtlichen Entscheidungen. Nehmen Arbeitnehmer ihre arbeitsvertragliche Arbeit immer am Tag wahr, wären Nebentätigkeiten in einer Nachtschicht wohl generell als genesungsverzögernd zu bewerten, weil Nachtarbeit die Arbeitskraft beeinträchtigt. Aber darüber hinaus . . . ? Ist die Nebentätigkeit, z.B. weil grundsätzlich anders, sogar einer Genesung förderlich? Arbeitgeber werden hier wohl nur Argumente haben, wenn sie aus einem betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) Erkenntnisse zu Ursachen der psychosomatischen Diagnose haben.
Vgl. zu einem professionellen BEM
> BEM – Wann hält ein betriebliches Eingliederungsmanagement im Kündigungsschutzprozess