Verhaltensbedingte Kündigung auch ohne Abmahnung?

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Ist eine Kündigung ohne Abmahnung möglich? Wenn ein Arbeitgeber eine verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen hat, muss der Arbeitnehmer in der Regel vorher eine wirksame Abmahnung erhalten haben.

⇒Die grundsätzlichen Regeln für eine verhaltensbedingte Kündigung

Eine Kündigung ist verhaltensbedingt, wenn dem gekündigten Mitarbeiter vorgeworfen wird, er habe seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt.
 Wenn das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gilt,
ist eine Kündigung immer nur wirksam, wenn sie verhältnismäßig ist. Das KSchG gilt, wenn in einem Betrieb mehr als 10 Mitarbeiter in Vollzeit beschäftigt werden; in Teilzeit Beschäftigte werden dabei anteilig gerechnet. Bei einer verhaltensbedingten Künidung bedeutet verhältnismäßig, dass die Kündigung angemessen sein muss. Das ist sie nur dann, wenn Mitarbeitern vor einer Kündigung durch eine Abmahnung unmissverständlich klar gemacht worden ist, dass der Arbeitgeber ein bestimmtes Verhalten nicht duldet. Der Arbeitgeber kann dann erst kündigen, wenn sich das abgemahnte Verhalten wiederholt.
Ausnahmsweise ist eine Abmahnung nicht notwendig: Wenn Pflichtverstöße so schwerwiegend sind, dass Arbeitnehmer selbst nicht ernsthaft annehmen können, ihr Verhalten werde ohne Konsequenz für ihr Arbeitsverhältnis hingenommem, kann der Arbeitgeber ohne Abmahnung kündigen. Das ist z.B. bei einem Diebstahl so.
 In einem Kleinbetrieb mit weniger als 10 Vollzeit- Beschäftigten ist eine verhaltensbedingte Kündigung schon dann in Ordnung, wenn es einen sachlichen Grund dafür gibt.
 Die häufige Frage, ob eine Abmahnung ausreicht, oder ob es mehrere vor einer Kündigung gegeben haben muss, kann nicht mit ja oder nein beantwortet werden. Man muss im Einzelfall abwägen: Je länger ein Arbeitsverhältnis ungestört verlaufen ist, desto eher muss es mehr als eine Abmahnung gegeben haben.

⇒Wann ist eine Abmahnung eine wirksame Abmahnung

Nur eine wirksame Abmahnung kann eine Kündigung rechtfertigen.
• Dazu als Einstieg folgender Fall
Beim Arbeitgeber galt das KSchG. Eine Mitarbeiterin hatte einen Kollegen beschimpft: Er habe keine Erziehung genossen, er sei ein Bastard, seine Eltern hätten ihm keinen Verstand beigebracht. Vor diesem Vorfall hatte der Arbeitgeber die Mitarbeiterin abgemahnt, da sie sich gegenüber Kunden und Kollegen unangemessen verhalten habe. In der Abmahnung hatte der Arbeitgeber darauf hingewiesen, dass er zukünftig keine abfälligen Äußerungen gegenüber Kollegen, Vorgesetzten und Kunden hinnehmen werde.
Der Arbeitgeber kündigte der Mitarbeiterin wegen des Vorfalls, die Mitarbeiterin klagte gegen die Kündigung. Sie begründete ihre Klage auch damit, dass die Abmahnung des Arbeitsgebers unwirksam gewesen sei, es habe damals gar kein unangemessenes Verhalten gegeben. Deshalb sei die Kündigung nicht verhältnismäßig gewesen.
• Die Entscheidung
In der ersten Instanz beim Arbeitsgericht gewann die Mitarbeiterin den Prozess, das Landesarbeitsgericht (LAG) wies ihre Klage dagegen ab.
Das LAG ließ die Begründung einer unwirksamen Abmahnung nicht gelten. Es urteilte: Die Mitarbeiterin den Kollegen massiv beschimpft. Neben den anderen Äußerungen hat sie ihn mit dem Wort Bastard als unterwertigen Menschen bezeichnet und als jemanden, der von illegitimer Abstammung ist.
Ob die Abmahnung wirksam ist oder nicht, ändert daran nichts. Denn selbst wenn die Abmahnung unwirksam ist, kann sie kündigungsrechtlich dieselbe Funktion als Warnung entfalten. Ein Arbeitnehmer muss nach einem Verhalten dafür nur erkennen können, dass ein erneutes Verhalten vom Arbeitgeber als so schwerwiegend angesehen werden wird, dass eine Kündigung droht.
Die Entscheidung bedeutet letztlich, dass eine Warnung eine Abmahnung ersetzen kann; das ist neu!
Juristisch ist das Urteil angreifbar. Eine Abmahnung kann nur wirksam eine Kündigung rechtfertigen, wenn das abgemahnte Verhalten auch tatsächlich stattgefunden hat. Dies muss der Arbeitgeber beweisen.
Das LAG hat sich für seine Begründung, es komme nicht auf eine wirksame Abmahnung an, weil eine Warnung reichen kann, zu Unrecht auf ein Urteil berufen, das vom Bundesarbeitsgericht (BAG) erlassen wurde. Denn in diesem Urteil hat das BAG diese Frage gar nicht entschieden. Dort heißt es ganz im Gegenteil, das Gericht muss diese Frage gar nicht entscheiden.
Die Richter am LAG waren aber offensichtlich durch die Art und Wortwahl der Beschimpfung so beeindruckt, dass sie das übersehen haben.

⇒Konsequenzen der Entscheidung

Mit dem Urteil muss man jedenfalls bei Abmahnungen, die massive Vorwürfe enthalten, anders darüber nachdenken, wie man als Arbeitnehmer darauf reagiert. Arbeitnehmer haben 3 Möglichkeiten, auf eine Abmahnung zu reagieren:
– Sie nehmen sie ohne Reaktion hin,
– sie schreiben eine Stellungnahme, die zu der Abmahnung in ihrer Personalakte abgelegt werden soll,
– oder sie klagen beim Arbeitsgericht mit dem Ziel, dass der Arbeitgeber die Abmahnung aus der Personalakte entfernt.
Die Entscheidung zwischen diesen Möglichkeiten hängt vom Einzelfall ab. Es kann einen Unterschied machen, ob es bereits mehrere Abmahnungen gibt oder nur eine.
Die erste Möglichkeit, gar nicht zu reagieren, ist vielleicht überraschend. Es kann sinnvoll sein, ein Thema „nicht an die große Glocke zu hängen“. Und man kann bedenken, dass die Abmahnung erst dann wirklich gefährlich wird, wenn damit später eine Kündigung begründet werden soll. Wenn es dann zu einem Prozess wegen der Kündigung kommt, wird dort geprüft, ob der abgemahnte Vorwurf überhaupt stimmt. Kann der Arbeitgeber das nicht beweisen, droht die Kündigung zu scheitern.
So war es hier im Fall auch, aber das LAG hat diesen Zusammenhang nicht beachtet.

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